Online-Befragung CDR - Auswertung beginnt

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CDR / Gerrit
Beiträge: 4
Registriert: Mo 14. Mär 2016, 10:32

Online-Befragung CDR - Auswertung beginnt

Beitrag von CDR / Gerrit »

Hi Leute,

nur kurz ein paar Infos zu der Onlinebefragung "Psychoaktive Substanzen online und offline", die u.a. vom DHV zweimal beworben wurden (Danke Flo!) und an der vielleicht die eine oder der andere von euch teilgenommen hat.

Ich habe die Daten aus der Fragebogensoftware ins Statistikprogramm übertragen und mit der Datenpflege begonnen. So heißt das bei uns, wenn wir die Trolle (bisher vier) und die eindeutig ungültigen Einträge (niemand wird 999 Jahre alt) rauslöschen, die Variablen umcodieren und so weiter.

Die Erhebung ist damit beendet, aber der Fragebogen bleibt noch eine Weile online, weil sonst manche Daten nicht mehr aufrufbar sind. Weitere Eingänge werden bei der Auswertung nicht berücksichtig.

Hier jetzt erstmal eine ganz allgemeine Zusammenfassung des Datensatzes:

2838 vollständige Teilnahmen (unbereinigt)

Alter:
14 – 68 (bereinigt), Durchschnitt: 27,35 Jahre

Geschlecht:
14,6% weiblich und 84,2% männlich, 1,2% sonstige (hauptsächlich Scherzeinträge bis auf zwei Transsexuelle)

Beziehungsstatus:
Knapp 50% ledig und Single
Knapp 35% ledig, in fester Beziehung
Knapp 10% verheiratet
Der Rest verteilt sich auf die anderen Kategorien bzw. hat bei Sonstiges einen Eintrag gemacht.

Bundesländer: Bayern gegenüber dem Bevölkerungsanteil deutlich überrepräsentiert

Nationalität:
89,5% deutsch
3,8% österreichisch
Rest sonstige, hauptsächlich Schweiz
Anmerkung: Österreich hat eine eigene Kategorie, weil wir mit Forschungspartnern aus Wien zusammenarbeiten.

Berufe (müssen von Hand ausgezählt werden, daher nur Schätzungen, ohne Schülerinnen und Schüler bzw. Studentinnen und Studenten):

Die größte Gruppe stellen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter / Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen / Suchthilfe etc.

Weitere nennenswerte Gruppen:
IT etc.
Köchinnen und Köche
Polizei / Kriminalpolizei / Zoll etc. (kein Scherz)

Internet / Darknet: ca. 20% mit Kauferfahrung im Internet bzw. Darknet, darin ein recht hoher Anteil von Bestellungen bei holländischen Smartshops (nur Trüffel)

So, das war’s erstmal. Die wirklich interessanten Ergebnisse kann ich erst nachreichen, wenn der Datensatz komplett eingepflegt ist und die ersten genaueren Analysen stattgefunden haben. Das wird in zwei bis vier Wochen sein. Ich kann allerdings schon jetzt sagen, dass wir alles so gemessen haben wie erwartet, teils sogar noch wesentlich deutlicher. Der größte Teil des Drogenmarktes beruht auf vertrauensvollen Beziehungen, häufig Freundschaften. Ein sehr großer Teil findet ohne gewinnorientierten Handel statt. Dabei handelt es sich vermutlich um Vermeidungsstrategien gegenüber der Strafverfolgung und den negativen Auswirkungen des Schwarzmarktes. Allerdings kann kaum Einfluss auf die Qualität der Drogen genommen werden, fast 90% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren schon der Gefährdung durch schlechte Qualität und / oder Fake-Drogen ausgesetzt.

Vorläufige Deutung: die Drogenpolitik und die Strafverfolgung beruhen unter anderem auf unrealistischen und übertriebenen Annahmen über den Drogenhandel. Außerdem ist die Einführung von Maßnahmen zum Verbraucherschutz (drug-checking etc.) in Deutschland sehr dringend erforderlich. Das werden wir jetzt noch genauer prüfen und mit statistischen Berechnungen untermauern, danach wird es wohl so oder ähnlich in unseren Fachveröffentlichungen stehen.

Wie geht’s weiter? Wir wurden mehrfach gefragt, warum wir keine NPS abgefragt haben. Ganz einfach: dazu kommt demnächst noch eine eigene Befragung. Das wird eine vergleichende Befragung in sechs europäischen Ländern und diese befasst sich mit eigentlich allen Themen rund um NPS.

Wir bedanken uns noch einmal ganz herzlich für alle vollständigen Teilnahmen!
Stay safe!
G
CDR / Gerrit
Beiträge: 4
Registriert: Mo 14. Mär 2016, 10:32

Re: Online-Befragung CDR - Auswertung beginnt

Beitrag von CDR / Gerrit »

Hi Leute,

hier nochmal drei kleine Häufigkeitstabellen mit kurzen Erläuterungen. Das sind Tabellen für die sogenannte Lebenszeit-Prävalenz, also ob und wie oft jemand eine bestimmte Droge bereits konsumiert hat, rückblickend auf die gesamte Lebenszeit (hohe Werte für einzelne Leute können also auch auf hohes Lebensalter zurückgehen, muss kein Dauerkonsum sein).

Die erste Tabelle zeigt die Häufigkeiten für Cannabisgebrauch, die zweite für Ecstasy und die dritte für Heroin (die Tabellen sehen etwas schrottig aus, weil der Text-Editor hier keinen Tabulator kennt, zumindest habe ich auf die Schnelle nicht rausgefunden, wie das gehen würde).

Man sollte beachten, dass Konsumentinnen und Konsumenten direkt als solche angesprochen wurden (keine allgemeine Haushaltsumfrage), und dass es sich um im Internet erhobene Daten handelt, was auch bedeutet, dass fast alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in irgendeiner Weise durch Aufforderung im Internet zur Teilnahme bewegt wurden. Anders gesagt: es kann Einfluss auf die Antworten nehmen, ob jemand über das DHV-Forum oder über das Eve & Rave -Forum rekrutiert wurde, in fast jedem Fall aber gab es bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmer vorher schon einen gewissen Bezug zu solchen Seiten.
Generell haben wir versucht, ein ausgewogenes Sample zu erhalten. Dazu haben wir auch konkret bei Sozialarbeitern darum gebeten, die eigenen Klientinnen und Klienten zur Teilnahme zu animieren, auch ohne besondere Internetaffinität. Das hat auch gut geklappt, wenn man unten mal in die Tabelle zu Heroin schaut (dazu später mehr).


CANNABIS:
Wie oft haben Sie bisher jemals in Ihrem Leben die folgenden illegalen Drogen (Cannabis) konsumiert?

__________________Häufigkeit________Prozent
keinmal_______________21_____________0,7
1 - 10 Mal_____________91_____________3,2
11 - 50 Mal___________207_____________7,3
51 - 200 Mal__________345____________12,2
201 Mal oder öfter_____2169____________76,6

Gesamt______________2833____________100

Man sieht hier sehr schön die steigenden Häufigkeiten für die immer größer werdenden Konsumkategorien. Man kann sich die Spalte "Häufigkeit" auch als Pyramide vorstellen, die nach unten immer breiter wird. Cannabis ist eine sehr häufig konsumierte Droge, man könnte auch sagen, es ist eine Alltagsdroge. Genau deshalb stößt die Strafverfolgung von den Ressourcen her bereits an ihre Grenzen. Diese Situation kann mittel- bis langfristig nur zu weiterer Entkriminalisierung führen, unabhängig davon, ob und wie gefährlich Cannabis wirklich ist oder nicht ist. Eine solche Entkriminalisierung wäre aber von Seiten der Politik und Strafverfolgung vermutlich nicht dazu gedacht, die Konsumentinnen und Konsumenten gesellschaftlich besser zu stellen, sondern lediglich dazu, die Polizei und Gerichte zu entlasten. In einem solchen Fall würde dann z.B. die bisherige Einstellungspraxis von "kann" auf "soll" umgestellt werden, oder das Legalitätsprinzip auf das Opportunitätsprinzip umgestellt (Ordnungswidrigkeit mit geringer Geldbuße).



XTC:
Wie oft haben Sie bisher jemals in Ihrem Leben die folgenden illegalen Drogen (Ecstasy) konsumiert?

__________________Häufigkeit________Prozent
keinmal_____________1134_____________40
1 - 10 Mal____________794_____________28
11 - 50 Mal___________466_____________16,4
51 - 200 Mal__________321_____________11,3
201 Mal oder öfter_____118_____________4,2

Gesamt_____________2833____________100

Hier sieht man interessanterweise ein genau umgekehrtes Bild: eine auf dem Kopf stehende Pyramide. Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie haben noch nie Ecstasy genommen, obwohl sie direkt als Konsumentinnen und Konsumenten angesprochen wurden. Danach gilt: je häufiger der Konsum, desto kleiner die Gruppe. Das bedeutet, dass es bis auf einen harten Kern der Konsumentinnen und Konsumenten fast ausschließlich Probierkonsum, Gelegenheitskonsum und kontrollierten Konsum gibt, und / oder dass heftige Konsumphasen relativ kurz sind und schnell enden. Zu diesem Bild trägt sicherlich bei, dass Ecstasy als klassische Partydroge fast ausschließlich am Wochenende konsumiert wird, ebenso dass die Sozialarbeit im Partyumfeld wirksam ist. Leider ist die politische Ablehnung von Ecstasy noch viel größer als bei Cannabis, so dass drogenpolitisch kaum eine Veränderung zu erwarten ist. Vielleicht gibt es eine kleine Chance auf Einführung von drug-checking in Deutschland, man wird sehen.

HEROIN:
Wie oft haben Sie bisher jemals in Ihrem Leben die folgenden illegalen Drogen (Heroin) konsumiert?


__________________Häufigkeit________Prozent
keinmal_____________2611____________92,2
1 - 10 Mal____________133_____________4,7
11 - 50 Mal____________23_____________0,8
51 - 200 Mal___________19_____________0,7
201 Mal oder öfter______47_____________1,7

Gesamt_____________2833____________100


Aus meiner Sicht die spannendste Tabelle von diesen dreien. Über 90% der Konsumentinnen und Konsumenten der anderen Drogen haben nie Heroin genommen. Das bedeutet unter anderem, dass Cannabis mit Sicherheit keine Einstiegsdroge ist, denn sonst müssten die Leute aus der ersten Tabelle auch in dieser hier stehen. Es gilt vielmehr fast dasselbe wie für Ecstasy: Probierkonsum, Gelegenheitskonsum und kontrollierter Konsum sind auch bei Heroin dominant. Dies ist lediglich in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Aber trotzdem Obacht: in der letzten Kategorie steigen die Häufigkeiten plötzlich wieder leicht an. Es gibt also so etwas wie einen leichten "Junk-Effekt" (ist nicht abwertend gemeint). Das kann drei Gründe haben: 1. wie oben bereits angedeutet haben wir konkret dafür gesorgt, dass auch Konsumentinnen und Konsumenten, die sonst nicht im Internet aktiv sind, den Fragebogen ausfüllen; 2. es gibt so etwas wie einen Junkie-Lifestyle, hier kommen auch die unerwünschten Nebenwirkungen des Verbots voll zum Tragen; 3. regelmäßiger Opiatkonsum kann eine zelluläre Toleranz bedingen, welche wiederum zu Entzugserscheinungen führen kann (meistens "Abhängigkeit" genannt). Diese drei Punkte können den Anstieg in der letzten Kategorie begründen. Unabhängig davon, ob die soziologischen oder medizinischen Faktoren überwiegen, wenn man erst Mal richtig dabei ist, wird man das nur schwer wieder los. Also trotz der eher entspannten Bewertung im ersten Teil dieses Abschnitts: Finger weg! Und wenn nicht, dann vorher schlau machen, aber richtig.

So, das war's mal wieder. Ist so still hier, da weiß ich gar nicht, ob euch das überhaupt interessiert. Aber ich denk mal, ich komme ab und zu nochmal wieder und schreibe ein bisschen was zu den Monatsprävalenzen, den Häufigkeiten der verschiedenen Bezugsquellen und den Bestellungen im darknet, denn darum ging es ja eigentlich bei der Umfrage.
Bis dahin:
Stay Safe!
G
ay_caramba
Beiträge: 64
Registriert: Sa 24. Mai 2014, 09:20

Re: Online-Befragung CDR - Auswertung beginnt

Beitrag von ay_caramba »

Hallo Gerrit,

bloß nicht entmutigen lassen von der Stille hier. Das Forum ist nicht so sehr belebt, die sind alle bei Facebook, glaube ich. :oops: Gelesen wird es trotzdem von Leuten, die es interessiert!
Ich finde die Auswertung spannend und gut, dass ihr die Ergebnisse nicht im Stil christlicher Parteien populistisch uminterpretiert.

An der Befragung hatte ich ebenfalls teilgenommen. ;)

Beste Grüße und Dank!
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bushdoctor
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Registriert: Mo 27. Feb 2012, 15:51
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Re: Online-Befragung CDR - Auswertung beginnt

Beitrag von bushdoctor »

Sehr interessant!
Ernst Berlin
Beiträge: 765
Registriert: Fr 24. Feb 2012, 13:09
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Re: Online-Befragung CDR - Auswertung beginnt

Beitrag von Ernst Berlin »

Man kann doch die klickzahlen sehen. Ich warte noch auf den Abschluss des ganzen um meinen Senf abzugeben.
Privat Sponsor des DHV seit 06.10.2009... Wann machst du mit? :D
CDR / Gerrit
Beiträge: 4
Registriert: Mo 14. Mär 2016, 10:32

Re: Online-Befragung CDR - Auswertung beginnt

Beitrag von CDR / Gerrit »

Hi Leute,

hier dann mal die kurzfristigen Prävalenzen (letzten 30 Tage bis täglich) für dieselben drei Drogen: Cannabis, Ecstasy und Heroin, wieder mit kurzen Erläuterungen.

Cannabis:
Wie oft haben Sie in den letzten 30 Tagen die folgenden illegalen Drogen konsumiert (Cannabis)?

_______________________________Häufigkeit________Prozent
keinmal___________________________378_____________13,3
1 - 5 Mal__________________________506_____________17,9
6- 10 Mal_________________________249______________8,8
mehr als 10 Mal, aber nicht täglich_____665______________23,5
täglich___________________________1035_____________36,5

Die Häufigkeiten für Cannabisgebrauch zeigen bei der Monatsprävalenz ein anderes Bild als bei der Lebenszeitprävalenz (im vorherigen Beitrag beschrieben). Es ist hier keine Pyramide, sondern eher eine Sanduhr zu sehen, nämlich in der Mitte tailliert (506 – 249 – 665).

Gleichzeitig ist zu sehen, dass der tägliche Gebrauch die größte Kategorie ist. Aber das ist kein Wunder bei einer Online-Befragung, die sich ausschließlich an Konsumentinnen und Konsumenten richtet und diese z.B. über den DHV angeworben hat. Die eigentliche Interpretation ist also, dass Dauerkiffer drogenpolitisch interessiert sind und (deshalb) eine hohe Teilnahmebereitschaft aufweisen, weil sie sich eine Verbesserung der Drogenpolitik aufgrund der Forschungsergebnisse erhoffen. Das gilt unabhängig davon, ob es sich bei dem täglichen Konsum um problematischen Konsum handelt oder nicht.

Interessant ist auch, dass die ersten drei Kategorien zusammen 40% ergeben, denn das bedeutet, dass bei Cannabis der Gelegenheitskonsum und der kontrollierte Konsum auch bei den kurzfristigen Prävalenzen stark vertreten sind (zusammen größer als der tägliche Konsum).


Ecstasy:
Wie oft haben Sie in den letzten 30 Tagen die folgenden illegalen Drogen konsumiert (Ecstasy)?

_______________________________Häufigkeit________Prozent
keinmal__________________________2267_____________80
1 - 5 Mal__________________________522_____________18,4
6- 10 Mal__________________________32______________1,1
mehr als 10 Mal, aber nicht täglich______12______________0,4
täglich_____________________________0_______________0

Bei Ecstasy ist wieder die bekannte, auf dem Kopf stehende Pyramide zu sehen, diesmal sogar noch viel deutlicher ausgeprägt: die Spitze ist bereits abgebrochen. Soll heißen: von allen knapp 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat niemand 30 Tage lang täglich Ecstasy genommen (wär ja auch deppert, ehrlich gesagt).

Ansonsten gilt dieselbe Interpretation wie bei der Lebenszeitprävalenz: Probierkonsum, Gelegenheitskonsum und kontrollierter Konsum sind dominant, sogar so sehr, dass man sagen kann, dass langfristiger problematischer Konsum von Ecstasy praktisch kaum existiert. Problematisch sind einzelne Fälle von zu hohen Dosierungen - aber das macht man weder absichtlich noch regelmäßig, eher aus Unwissen über die Droge oder die Dosierung der einzelnen Pillen. Problematisch kann auch sein, wenn es Mischkonsum ist, den man an der Tabelle natürlich nicht erkennen kann. Oder wenn die Party zu lange dauert, das kann auch ziemlich ungesund sein, ganz unabhängig vom Konsum.

Anders gesagt: in allem, was die Tabelle zeigt oder eben nicht zeigt, ist genau das enthalten, was als kontrollierter Konsum gilt: Nicht zu oft feiern gehen, nicht zu viel nehmen, lieber kein Mischkonsum und nicht zu lange auf der Party rumhängen, dann kriegt man eher keine Probleme mit Ecstasy. Insgesamt sind unbekannte Dosierungen, Streckmittel und falsch deklarierte NPS die größten Risiken beim Konsum von Ecstasy. Daher ist drug checking die beste Partydrogenprävention, um die unbekannten Dosierungen, die Streckmitteln und die falsch deklarierten NPS erkennen zu können. Und nebenbei bemerkt: die genannten Risiken sind direkte Folgen des Drogenverbots und der Strafverfolgung.


Heroin:
Wie oft haben Sie in den letzten 30 Tagen die folgenden illegalen Drogen konsumiert (Heroin)?

_______________________________Häufigkeit________Prozent
keinmal__________________________2802_____________98,9
1 - 5 Mal___________________________13_____________0,5
6- 10 Mal___________________________3______________0,1
mehr als 10 Mal, aber nicht täglich_______6______________0,2
täglich_____________________________9______________0,3

Heroin: von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat in den letzten 30 Tagen fast niemand Heroin genommen. Von den wenigen Leuten, die im letzten Monat Heroin genommen haben, sind die meisten keine Abhängigen, sondern haben lediglich 1 - 10 Mal konsumiert (16 Leute in Kategorie 2 und 3). Gleichzeitig taucht aber auch der „Junk-Effekt“ wieder auf: von "fast täglich" auf "täglich" steigen die Zahlen leicht an. Allerdings sind die Fallzahlen so gering, dass man vermutlich nicht von statistischer Signifikanz (Eindeutigkeit) sprechen kann (0,3%).

Die Deutung ist relativ kompliziert:

Erstens: der Effekt tritt auch bei Crack, Crystal Meth und Substitutionsmitteln auf (allerdings noch kleiner), und zwar hauptsächlich bei denselben Leuten. Das ist der Grund, warum ich persönlich davon ausgehe, dass es sich eher um einen „Junky-Lifestyle“ handelt, und dass die medizinischen Aspekte (körperliche Abhängigkeit) zweitrangig sind bei der Erklärung der wirklich harten Konsummuster bzw. der Teilnahme an der sogenannten „offenen“ Szene. Dazu gehört auch, dass dieser Lifestyle größtenteils eine Nebenfolge des Drogenverbots ist bzw. massiv durch die Strafverfolgung und die Schwarzmarktstrukturen geprägt wird (darüber habe ich meine Doktorarbeit geschrieben).

Zweitens: Man kann diese insgesamt sehr geringen Prävalenzen für Heroin auch als Erfolg der Prohibition deuten. Allerdings ist das kein ehrlicher Erfolg: wenn man die Politik so gestaltet, dass Verwahrlosung von Konsumentinnen und Konsumenten die Folge ist, und genau diese Folge als Abschreckungsgrund in den Medien und der Öffentlichkeit präsentiert wird, dann ist das ziemlich zynisch, ignorant und unmenschlich.

Bei genauem Hinsehen findet man immer wieder und wieder, dass das Drogenverbot gerade jenes erzeugt, was es eigentlich verhindern soll, und schlimmer noch, dieses schlechte Ergebnis wird dann noch zur erneuten Begründung der Notwendigkeit des Verbots und zur Abschreckung genutzt. Das ist die schlechteste Art von Drogenpolitik, die es geben kann, und leider auch die gängigste.

So, fertig für heute, nächstes Mal sind die Bezugsquellen dran. Dabei wird es dann auch um die wenig bekannten Fachbegriffe „social supply“ und „minimally commercial supply“ gehen (keine Angst, ist nix wildes).
Stay safe!
G

@ ay_caramba, bushdoctor & Mörnest: Danke für eure Beiträge!
CDR / Gerrit
Beiträge: 4
Registriert: Mo 14. Mär 2016, 10:32

Re: Online-Befragung CDR - Auswertung beginnt

Beitrag von CDR / Gerrit »

Hi Leute,

sorry, dass ich so lange weg war. War viel Arbeit hier, der neue NPS-Fragebogen kommt Anfang nächste Woche (in sechs Sprachen).

So, um „social supply“ geht’s. Ist nicht ganz einfach zu übersetzen, weil „supply“ mehrere Bedeutungen hat. Die beste Übersetzung ist meiner Meinung nach: sozial und kulturell geprägte Bedarfsdeckung (aus Sicht des Empfängers) bzw. Weitergabe (aus Sicht des Weitergebenden). Wir unterscheiden hier zwischen „sozial“ und „kulturell“, um zweck- und wertrationale Beziehungen unterscheiden zu können. Das ist im Fragebogen aber noch nicht getrennt behandelt und wird auch auf Englisch bisher nicht so gehandhabt. Bietet sich aber an, weil diese Unterscheidung ein Grundmerkmal der deutschen Soziologie insgesamt ist.

Und worum geht’s dabei? Vor etwas mehr als 15 Jahren hat ein britischer Professor angefangen, in „offenen“ Drogenszenen nach nicht-kommerzieller Drogenweitergabe zu fragen, also ob Drogen gemeinsam konsumiert, zum Einkaufspreis weitergegeben oder verschenkt werden. Das war konkret dazu gedacht, die staatlichen und medialen Bilder von Dealern zu kritisieren. Wenn ihr genau hinschaut, dann findet ihr das auch in unserem Einleitungstext („kontrastieren“). Etwas später hat er ergänzt, dass es auch „minimally commercial supply“ gibt, also kleinstmögliche kommerzielle Weitergabe. Das sind z.B. die Fälle, in denen sich jemand den Bonus fürs Mitbringen einsackt oder nur seinen Eigenbedarf deckt (ich denke mal, dass ihr alle sowas kennt).

Die Studien wurden bereits mehrfach wiederholt, es kam immer dasselbe heraus: es gibt eindeutig sozial und kulturell geprägte Bedarfsdeckung / Weitergabe. Allerdings wurde dies bisher immer nur in einzelnen (englischen und australischen) Großstädten und immer nur in „offenen“ Drogenszenen (Heroin und Kokain) erforscht. Unser hauptsächliches Ziel war es, dieses Phänomen für den gesamten deutschsprachigen Raum und für alle Drogen nachzuweisen. Dank eurer Hilfe hat das sehr gut geklappt!

Beim nächsten Mal habe ich dann auch die passenden Häufigkeitstabellen dazu. Kann aber wieder etwas dauern, zuerst kommt vermutlich noch die förmliche Einladung zum NPS-Fragebogen.

Also, stay tuned, und wie immer: stay safe!
G
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