Über die Bedeutung des anwaltlichen Verteidigers im Repressionsfall

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Freno
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Registriert: Do 7. Jan 2021, 17:00

Über die Bedeutung des anwaltlichen Verteidigers im Repressionsfall

Beitrag von Freno »

Ich will hier mal ein paar allgemeine Bemerkungen über die Wichtigkeit der Beauftragung eines Anwalts in Repressionsfällen loswerden bzw zusammenfassen - ich glaube, darüber herrscht eine gewisse Unklarheit bei vielen und nicht wenige scheuen - nicht ganz ohne Berechtigung - die hohen Anwaltsgebühren, die für Strafverteidigungen im oberen dreistelligen Bereich überhaupt erst beginnen und bei umfangreicheren Angelegenheiten mittlere vierstellige Beträge erreichen und noch weit überschreiten können, wenn es "richtig ernst wird". Rechtsschutzversicherungen treten nicht ein bei Delikten, die vorsätzlich begangen werden können und dazu gehören eben auch die "BtM-Sachen" und Pflichtverteidigung - die Prozeßkostenhilfe in Strafsachen - gibt es erst dann, wenn der Knast droht und selbst dann nicht immer. Und Anwälte, die Pflichtverteidigungen übernehmen, sind nicht unbedingt immer die besten ihres Faches - die Honorare der Gerichtskasse sind nämlich ausgesprochen knickerig.

1) Nur Anwälte bekommen "Akteneinsicht" - die originale Gerichtsakte wird nur einem Anwalt für wenige Tage zugeschickt, der sie idR kopieren lässt und zurückschickt. Das wird sehr ernst genommen - der Anwalt, der eine Gerichtsakte "verschludert", muß um seine Zulassung kämpfen. Der Beschuldigte oder Angeklagte selbst bekommt sie nicht, auch nicht zur Einsicht auf der Geschäftsstelle. Der Aufwand für die Justiz wäre viel zu hoch - lautet die Begründung, über die man streiten kann, aber "das Gesetz ist das Gesetz".

Nur wenn man die Akte kennt, weiß man, wogegen man sich überhaupt verteidigen muß - die "Verhörspersonen" bei der Polizei vermeiden es tunlich, sich zu genau in die Karten blicken zu lassen. Und auch nur der Anwalt kann die Akte auf entlastende Umstände und Angriffspunkte, zB unterbliebene Belehrungen, Beweisverwertungsverbote usw überprüfen. Der Laie versteht vom Juristendeutsch nur Bahnhof und Abfahrt, kann zwar in die Akte "reingucken", aber sie nicht "lesen".

Als Staatsanwaltschaftsreferendar habe ich es nur zu oft erlebt, daß ein Angeklagter ohne Verteidiger vor Gericht behauptete, von allem "nix gewußt" zu haben, dann zum Richtertisch gerufen wurde und aus der Akte das Schriftstück vorgehalten bekam, wo er unterschrieben hatte, daß er "von überhaupt allem wirklich alles ganz genau gewußt hatte". Das ist dann freilich "Pech für die Kuh Elsa", um mit Didi Hallervorden zu sprechen. Aber richtig heftiges Pech !

2) Was in keinem Gesetz, Kommentar oder Lehrbuch zu finden ist, aber von enormer Bedeutung für den Ausgang eines jeden Verfahrens, das ist der "Gerichts- und Behördengebrauch", den nur diejenigen Anwälte kennen, die regelmässig mit den jeweiligen Gerichten und Behörden (Staatsanwaltschaften, Führerscheinstellen) zu tun haben. Solche Anwälte haben auch häufig einen "guten Draht" zu den Richtern, Staatsanwälten und sonstigen "Entscheidern" und können sehr vieles schlicht per Telefonanruf oder in der Gerichtskantine klären. Es gibt "scharfe" und "milde" Richter und Staatsanwälte, auch diese Leute sind Individuen, die individuell angesprochen werden wollen - und das kann eben nur der Anwalt, der diese Leute gut kennt. Deswegen sollte man einen Anwalt beauftragen, der seine Kanzlei am Sitz des zuständigen Gerichts hat, auch wenn man uU mehrere 100 km dorthin anreisen muß. In den Strafsachen, über die wir hier zumeist reden, muß man eh normalerweise nicht zu oft in der Kanzlei persönlich erscheinen. Der Anwalt "um die Ecke" oder "über der Stammkneipe" ist zwar bequem - aber die Richter, den "Gerichtsgebrauch" am womöglich 200 km weit entfernten "Gerichtsstand" kennt er wahrscheinlich überhaupt nicht. Das gilt natürlich entsprechend auch für die Führerscheinstellen bei den Landratsämtern und "Oberbürgermeistereien" großer Städte und die dahinter geschalteten Verwaltungsgerichte.

Insbesondere im Strafverfahren kann auch der "deal" von großer Bedeutsamkeit sein. Das Wort und das inzwischen auch in Deutschland gesetzlich geregelte Verfahren stammt aus dem angelsächsischen Rechtskreis: dort kann man seit langem auch im Strafverfahren "Vergleiche" ähnlich wie im Zivilprozeß schließen und sich die für alle Beteiligten belastenden Hauptverfahren ersparen oder sie abkürzen. Das Wesen dieses deals besteht darin, daß der Angeklagte im vorher abgesprochenen Rahmen ein Geständnis abgibt und dafür eine ebenfalls zuvor "ausgedealte" und relativ milde Strafe erhält, die ihm häufig den Knast ersparen kann. Gerade also in ernsteren Repressionsfällen, wenn der Knast (oder sonstige sehr empfindliche Sanktionen) droht, kann die Beauftragung eines "local expert" eine "freiheitserhaltende" Maßnahme sein. Denn für diesen "local expert" ist die Wahrscheinlichkeit, zu einem schnellen und für seinen Mandanten günstigen deal zu kommen, am größten. Die Chance, ohne anwaltliche Vermittlung als Angeklagter zu einem "deal" zu kommen, ist Null. Denn über deals verhandelt die Justiz mit den Angeklagten selbst überhaupt erst garnicht - man spricht mit ihm sowieso nur in der Hauptverhandlung, verweigert ansonsten jedes Gespräch.

Gerade in unseren Zeitläuften, in denen die Legalisierung "regierungsamtlich" angekündigt ist, kann das "Spiel auf Zeit" in einigen Fällen sehr sinnvoll sein, weil Gesetzesänderungen zugunsten des Angeklagten in jedem Stadium des Verfahrens zu berücksichtigen sind. Salopp formuliert: Karl Kiffer wird vom Amtsgericht wegen Cannabis verknackt, legt Berufung ein und 1 Tag vor der Berufungsverhandlung tritt die Totallegalisierung von Cannabis in Kraft - Folge: Karl Kiffer wird freigesprochen ! Deswegen sind Richter und Staatsanwälte derzeit wahrscheinlich oftmals geneigt, Cannabis-Fälle "auf die lange Bank zu schieben". Dieses "Spiel auf Zeit" kann aber auch nur ein Anwalt spielen, der die entsprechenden Richter und Staatsanwälte kennt und das "Spiel auf Zeit" durch Telefonanruf spielen kann. Und nur der Anwalt kann auch beurteilen, ob im konkreten Einzelfall das "Spiel auf Zeit" wirklich sinnvoll ist.

Beispiel: der zuständige Richter am Amtsgericht Beispielheim, Dr. Milde, lässt fast alle geständigen "kleinen Kiffer" mit Einstellung nach §§ 153, 153a StPO laufen - aber Dr. Milde geht demnächst als Vorsitzender Richter ans Landgericht Musterbach ! Das kann nur der Anwalt wissen, der am Amtsgericht Beispielheim zugelassen ist und beim Amtstrichter Dr. Milde jeden Monat so einige Verhandlungen hat, mit ihm gut auskommt und dann und wann in der Gerichtskantine mit ihm Kaffee trinkt, vielleicht sogar am Abend in einer honorigen Kneipe am "Juristenstammtisch" ein Bier. Dann kann es u.U. sehr sinnvoll sein, Dr. Milde noch "mitzunehmen", bevor der jetzige Staatsanwalt Frankenstein, der seinem Namen ebenfalls alle Ehre macht, womöglich sein Nachfolger wird.

3) Das "materielle" Strafrecht - hier das BtMG - und das "formelle" Strafprozeßrecht, die "StPO", sind für den juristischen Laien ein undurchschaubarer Dschungel, der sich zudem sehr rasch ändert durch Änderungen in den Gesetzen sowie der "höchstrichterlichen Rechtssprechung", an denen sich die "Untergerichte" (Amtsgericht, Landgericht) idR orientieren. Jeder - seriöse - Anwalt verbringt einige Stunden in der Woche damit, diese Entwicklungen durch seine Fachpresse zu verfolgen, hält sich - halbwegs - aktuelle Fachliteratur. Ich selbst habe als selbstständiger Anwalt jedes Jahr rund 3.000 € für Fachliteratur ausgegeben.

Man sollte sich nicht durch einzelne spektakuläre Urteile, die in allgemeinen Medien, insbesondere im Internet, ergooglet, gepusht und "herumgereicht" werden, kirre machen lassen. Diese nach Laienmeinung oftmals "bahnbrechenden" Urteile sind oftmals nur Einzelfälle, die in der juristischen Fachliteratur kaum eine Rolle spielen. Und erst recht sollte man den großmäuligen Forums-Promis, die mit Menschenrechten und Verfasssung nur so um sich schmeissen und unter dem Beifall von vielen gutmeinenden wie völlig ahnungslosen "Laien" verkünden, daß der Kiffer immer Recht habe, weil alle Gesetze gegen Cannabis faschistisch sind usw - niemals nicht Glauben schenken. Sonst kommt vor Gericht eine übele Eiswasser-Dusche, deren Nachwirkungen viele Jahre anhalten und das Leben sehr schwer machen können.

Nur der entsprechend versierte Anwalt, vor dem man die Hosen "brutalstmöglich" runterlassen muß, kann die konkreten Umstände des Einzelfalls vor dem Hintergrund

a) seiner Aktenkenntnis,
b) seiner Kenntnis der Rechtslage und
c) seiner Kenntnis vom "Gerichts- und Behördengebrauch"

mit seinem Mandanten abwägen und die im Einzelfall - möglicherweise - zielführende Strategie entwerfen und dann auch mit seinem Mandanten umsetzen. Alles andere ist ein Blindflug durch eine Nebelwand.

4) Eine Hauptverhandlung in Strafsachen ist für den Angeklagten maximaler Streß, schon wegen der befremdlichen Rituale, in denen dieses Verfahren abläuft: die Gerichtsgebäude mit ihren Einlaßkontrollen, bewaffnete Polizei und "Justizwachteln" schwirren überall herum, Handschellen klicken, die altertümlichen Roben, die verklausulierte Juristensprache voller rätselhafter Paragraphen und Abkürzungen, Ladungs- und Einlassungsfristen, Eröffnungsbeschlüssen, Belehrungen (die kein Schwein je verstanden hätte), allen möglichen Drohungen ... man kommt sich vor, als wäre man in einer völlig fremden Welt, auf einem fremden Planeten und wäre einem mittelalterlichen Inquisitions-Ritual unterworfen, an dessen Ende man bei lebendigem Leibe verbrannt oder den Wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen werden könnte.

Vorher wird man aber von der eigenen Angst aufgefressen und redet sich genau deswegen oft um Kopf und Kragen, wenn der anwaltliche Verteidiger, der auf diesem fremden Planeten wie zuhause ist, das nicht verhindert. Man braucht eben auch den "anwaltlichen Beistand", um dieses befremdliche und hochgradig ängstigende Ritual zu überstehen. Ich habe als Anwalt selbst die hartgesottensten Wirtschaftsverbrecher und korruptesten banker, die jedes Jahr in Frankfurt, München und Zürich Millionen gescheffelt haben (oder dies wenigstens (mit allen fiesen Tricks) versuchten), vor einem popeligen unterfränkischen Provinz-Amtsrichter zerlaufen sehen wie die Butter in der Pfannkuchen-Pfanne !

5) Wer an meinen Worten zweifelt, dem empfehle ich, mal an einem X-beliebigen Wochentag zu einem nahe gelegenen Amtsgericht zu gehen, und als "Öffentlichkeit" eine Strafverhandlung beim Einzelstrafrichter oder Schöffengericht zu verfolgen. Beim Einzelstrafrichter gibt es viel "Führerschein" und "Betrug der Sozialversicherung", ab und an Sachbeschädigung und Körperverletzung, beim Schöffengericht wird's schon etwas heftiger. Wenn man Glück hat, erwischt man auch eine BtM-Sache.

Man kann einfach beim Einlaß danach fragen, wo's ne Strafverhandlung gibt und sagen, man will sich sowas mal angucken "aus staatsbürgerlichem Interesse", das ist sehr legitim und vom Gerichtsverfassungsgesetz (und nur von diesem!) durchaus erwünscht. Nur in seltenen Fällen wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Es kann aber passieren, daß, wenn man dann in einen Verhandlungssaal als Zuhörer reingeht, vom Vorsitzenden rüde angeblafft wird: "Sie ! In welcher Sache sind Sie denn hier ?!" Dann kann man sich mal Rechenschaft über seine Gefühle ablegen, wenn man von so 1 Rechtssprechungsorgan in voller Montur vom hoch erhöhten Richterstuhl aus angeblafft wird und auch der Staatsanwalt (m/w/d) finster guckt und die eventuell diensthabende "Justizwachtel" auch noch drohend guckt und die Hand an den Holster ihrer Dienstknarre legt. Am besten grinst man und sagt: "Ich bin heute die Öffentlichkeit / ein Teil der Öffentlichkeit (wenn schon jemand da hockt)!" (das ist nämlich der vom Gerichtsverfassungsgesetz vorgesehene Begriff, der dem Gericht signalisiert: "ich habe Ahnung!") - dann grinst auch der Richter (und der Staatsanwalt und die Justizwachtel grinsen auch) und sagt auf einmal recht freundlich : "Na - dann nehmen Sie mal Platz !" (Und daran merkt man dann vielleicht auch, was insider-Wissen an diesem Ort des Schreckens Wert ist!) Den Zuschauerraum hat man meistens dann ziemlich für sich alleine und kann es sich bequem machen. (Wenn nicht gerade eine Schulklasse kommt - der größte Schrecken der Amtsgerichte !)

Und dann möge man mal versuchen, ein paar solcher Verhandlungen zu folgen und zu verstehen, was da abläuft, was da Sache ist, und nach dem Schlußwort des Angeklagten auf einen Zettel schreiben, was wohl "bei rauskommt" und sich dann anhören, was der Vorsitzende als Urteil verkündet. Beim Amtsgericht hat man bis zur Mittagspause meist so 5-6 "Sachen" ...

Allerspätestens zur Mittagspause wird einem klar geworden sein, daß es besser ist, einen Anwalt zu beauftragen, wenn man dort nicht im Zuschauerraum Platz nehmen darf sondern nur auf dem "Armsünderbänkchen" !
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