pepre hat geschrieben: ↑Di 6. Jun 2023, 07:48
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Es ist ein Paradigmenwechsel angesagt. Worum geht es? Doch ausschließlich um die Fahrtüchtigkeit¹. Was sind deren Merkmale? Reaktionsgeschwindigkeit und das Erkennen von komplexen Verkehrssituationen. Diese Merkmale kann man nur psychologisch testen. Es lassen sich sicherlich standardisierte Tests entwickeln, die genau bei diesen Merkmalen eine hohe Aussagekraft haben. Analog zur heutigen MPU².
Da die Psychologen langsam aber sicher ihren Malus als "Irrenarzt" verlieren, bin ich aber guter Hoffnung, dass so ein psychologischer Test auch gerichtsfest wäre. Man kann ja zB mehrfach nachtesten, falls da Streitigkeiten aufkommen.
Die Blutwerte sind damit ja nicht komplett vom Tisch. Das ist schon allein deshalb nötig, um Polytoxer zu erkennen, die zwar schnell reagieren (Amphetamin), aber Situationen nicht mehr angemessen einschätzen können.
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Meine Perspektive auf dieses Thema sind von meinen praktischen Erfahrungen geprägt und hier va durch meine Erinnerung an meine Zeit als Staatsanwaltschaftsreferendar, der 1-2 x wöchentlich als "Sitzungsvertreter" zu den Einzelstrafrichtern der Amtsgerichte geschickt wurde. Rund 4/5 aller Verhandlungen teilten sich nur 2 Deliktsgruppen auf: "Sozialbetrug" (Betrug von Sozialleistungsträgern, Schwarzarbeit etc.) und "Führerschein" und bei letzterem ging es regelmässig um die Trunkenheitsfahrten. Es sind enorme Massen von Verfahren, die bewältigt werden müssen. Ich kann mir kaum vorstellen, wie man das rein mit psychologischen Testverfahren bewältigen will - zumal diese Tests ja stets "auf frischer Tat" vorgenommen werden müssten. Alkohol hat unter diesem Aspekt einen Vorteil für die Strafverfolgung: seine Wirkungen halten m.E. um die 3-4 fache Zeit an, als ein Cannabis-Rausch, der m.E. nach 3-4 h "verflogen" ist - jeweils auf den Normalfall bezogen.
Begutachtungen aufgrund von Beobachtungen des Verhaltens haben stets eine stark subjektive Komponente - zumal dann, wenn die Begutachtung unter vier Augen stattfindet. Genau dies ist der Angriffspunkt für denjenigen, der eine solche Begutachtung "mit aller Macht" anfechten will - sei es, weil er das nötige Kleingeld dazu hat, sei es, weil er um die für viele Berufe existenzielle Fahrerlaubnis kämpfen muß.
Ich könnte mir vorstellen, daß es möglich wäre, durch "Kiff-versuche" (analog den beschriebenen "Trinkversuchen") der Forensiker biochemisch verhältnismässig leicht zu ermittelnde Stoffe zu identifizieren, die einen zuverlässigen Rückschluß auf Rauschwirkungen und damit die Fahrtüchtigkeit zulassen. Dabei muß es sich nicht notwendig um Bestandteile von Cannabis oder dessen Abbauprodukten im Stoffwechsel handeln, sondern es könnten auch zB Hormone wie das "Glückshormon" Serotonin infrage kommen, natürlich auch Kombinationen verschiedener Stoffe.
Indessen bin ich mir bewußt, daß solche Forschungen Jahre und Jahrzehnte in Anspruch nehmen, womöglich niemals zu einem Abschluß kommen, zumal - auch insofern sind wir uns wohl einig - Cannabis und seine Auswirkungen auf den Menschen trotz seiner eminenten Bedeutung kaum erforscht ist.
Die Entwicklung der heutigen Grenzwerte von Alkohol hat ebenfalls Jahrzehnte in Anspruch genommen, war ursprünglich reines Richterrecht gewesen: es war der Verkehrssenat des BGH, der die Grenzwerte stets nach unten verschob - dem Gesetzgeber war das Eisen zu heiß gewesen. Andererseits spielten die Trunkenheitsfahrten bis zum Beginn der Massenmotorisierung in der Wirtschaftswunder-BRD ab ca. 1960 statistisch kaum eine Rolle. Die sehr große Rolle, die sie aktuell und gewiss noch die nächsten Jahre weiter spielen und sich zunehmend mit Cannabis-Fahrten teilen werden, geht aber auch mit einiger Wahrscheinlichkeit zurück: das Kfz wird zunehmend durch andere Verkehrsmittel ersetzt, die Etablierung von "home office" durch die "Corona-Maßnahmen" macht immer mehr Wege "zum Arbeitsplatz und zurück" überflüssig, das autonome Fahren von Kfz (durch KI) steht obendrein vor der Tür.
"Alexa - f-fahr' m-mich n-nachhause!" dürfte ein Wunschtraum vieler Hardcore-Säufer und -Kiffer sein, der kurz vor seiner Erfüllung steht. Einige werden dann aber womöglich in ihrem autonomen Auto in Nordhausen aufwachen, weil Alexa ihr Gelalle nicht mehr richtig verstehen konnte.