Martin Mainz hat geschrieben: ↑Fr 7. Jul 2023, 17:30
Ich hoffe, daß wenn es erst mal eine Weile "legal" ist, normalisiert sich das und Gesetze kann man anpassen. Ich hoffe allerdings, daß unsere Parlamentarier vernünftig genug sind, daß Ganze doch noch in sinnvolle Bahnen zu lenken. Aber ich bin auch ein ziemlich naiver Optimist.
Der Selbsteinschätzung als naivem Optimisten vermag ich nicht entgegenzutreten. "Parlament" und "Vernunft" sind Begriffe, die sich gegenseitig ausschließen. Rationale Kommunikation ist meiner Lebenserfahrung nach unter maximal 5-6 Beteiligten möglich - bei Gremien und Versammlungen von 10, 100, 500 Beteiligten kommt es zwangsläufig zur Bildung 'psychologischer Massen', dh jedes Mitglied überträgt einen Teil seiner Ich-Funktionen auf die Masse und verliert schlagartig einen Großteil seiner Intelligenz - verblödet. Näheres findet sich bei Gustave Le Bon: "Psychologie der Massen" und Sigmund Freud "Massenpsychologie und Ich-Analyse", in dem sich dieser mit jenem intensiv auseinandersetzt. Zwischen den Fans von Rot-Weiß-Erfurt und Lok Leipzig in einem Fußballstadion und einer Plenarsitzung des Deutschen Bundestages besteht m.E. überhaupt kein nennenswerter Unterschied.
[Polemik/off]
Aus der jüngeren Geschichte erinnere ich gerne an die Emanzipation von Homosexualität und die (Teil-)Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Die politischen Instanzen haben sich bei beiden Themen bis auf die Unterhosen blamiert und auch das Bundesverfassungsgericht hat sich durchaus nicht mit Ruhm bekleckert. Dies hat aber die Verfassungsrichterin Rupp-v.Brünneck in ihrem - leider nur in (gebildeten) Juristenkreisen - berühmten 'dissenting vote' zum 1. Abtreibungsurteil des BVerfG getan, in dem sie festgestellt hat, daß eine Norm, die keinerlei Chance auf praktische Befolgung hat, niemals "die Würde geltenden Rechts" erlangen kann.
Die juristische Praxis hat Rupp-v.Brünneck bestätigt: unsinnige Gesetze werden von den unteren und mittleren Instanzen des Rechtsstaats boykottiert. Und diese Instanzen sind es, die darüber im Einzelfall entscheiden, ob ein Normverstoß verfolgt wird oder nicht. Bei "§ 218" ist es am besten nachvollziehbar: die Verfahren wurden schon auf der Ebene der Staatsanwaltschaften über die Verjährungsgrenze hinaus verschleppt, was doch noch "zu Gericht kam", wurde dort ebenfalls im gleichen Sinne "behandelt". Davon bekam "die Öffentlichkeit" jedoch kaum etwas mit und das war auch garnicht schlecht, weil es der Autorität des "demokratischen Gesetzgebers" ziemlich abträglich gewesen wäre, daß ihm "die Justiz" den Stinkefinger gezeigt hatte. Es hat "Ausreisser" gegeben wie den "Memminger Hexenprozeß", aber das blieben Einzelfälle, die mit ihrem medialen Tamtam den stillen Boykott der Justiz zu vernebeln geholfen hatten.
Ich prophezeie einen ähnlichen Verlauf bezüglich der Cannabis-Legalisierung: die irrwitzigen "Regulierungen" des Legalisierungs-Entwurfes, die ja wahrscheinlich so oder so ähnlich demnächst Gesetz werden, werden von "der Justiz" größtenteils genauso boykottiert werden, wie die "Indikationslösung" für den § 218, während sich "die Politik" in immer aberwitzigeren Streitereien über Detailfragen verliert.
EDIT 9.7.23: Es ist auch sehr gut möglich, daß das BVerfG geradezu bombardiert werden wird mit Vorlagebeschlüssen der Amts- und Landgerichte zB wg der schon rein logisch widersprüchlichen Regelung, daß man 3 Pflanzen züchten, aber nur 25 g besitzen dürfe. [EDIT 9.7.23/off]
Und das geht wahrscheinlich wieder 1/4 Jahrhundert lang so - oder noch länger. Wie beim § 218 wird es "Hexenprozesse" geben, die so einigen ziemliches Leid zufügen werden. Den ersten Hexenprozess gab es schon: 2 CBD-Kraut-Großhändler sind zu Freiheitstrafen verknackt worden, vom in Leipzig ansässigen Strafsenat des BGH. Typisch für den von mir beschrieben Umgang der "unteren Instanzen" mit diesem höchstrichterlichen Urteil: die CBD-shops haben immer noch geöffnet und Dank dem BGH wissen jetzt wirklich alle, daß man aus dem Kraut aus dem CBD-shop im Backofen richtig gutes Gras machen kann.
Das ist - meiner Meinung nach - die Richtung, in die es gehen wird. Für viele wird es immer leichter werden - hier in Leipzig ist der Konsum faktisch ausser Verfolgung gesetzt - für nicht wenige wird es sehr unangenehm werden in größeren oder kleineren "Hexenprozessen".
"Kammer mache nix - mussmer gugge zu !"