Extrem hohe Strafe berechtigt?

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Deenutt
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Extrem hohe Strafe berechtigt?

Beitrag von Deenutt »

Hallo miteinander,
Ich wurde heute zu Unrecht verurteilt und dazu auch noch mit einem besonders hohen Strafmaß. Ich wurde für den Besitz von 0,55 Gramm mariuhana zu 2 Tagen Kurzarrest plus 500€ Bußgeld Zahlung verurteilt (inklusive Gerichts kosten welche ich tragen muss). Auch wenn ich in Bayern lebe finde ich das etwas übertrieben mich wie einen schwerkriminellen zu behandeln obwohl ich einschlägige Beweise liefern konnte dass das nicht meins gewesen ist. Was meint ihr kann ich dagegen vorgehen oder ist es am besten einfach damit zu leben und in jugendarrest zu gehen?
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Cookie
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Re: Extrem hohe Strafe berechtigt?

Beitrag von Cookie »

Wenn Du den Mut hast, dann wehre Dich! Wenn nichts anderes gegen Dich vorliegt, sehe ich gute Chancen... auch den #WeedMob "anzurufen".
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Freno
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Re: Extrem hohe Strafe berechtigt?

Beitrag von Freno »

Wegen 1/2 g Marihuana wird man schon seit langem - seit dem "Haschisch-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts aus den frühen 1990er Jahren - nicht mehr verurteilt, meist noch nicht einmal mehr angeklagt, auch in Bayern nicht - normalerweise.

Wenn gleichwohl verurteilt worden ist, dann müssen besondere Umstände vorgelegen haben, zB Weitergabe, insbesondere Handeltreiben. Was hier "besonders" gewesen sein könnte, könnte man nur müssig spekulieren.

Eine Besonderheit gibt es aber schon im Startpost nachzulesen: Deenut hat "einschlägige Beweise liefern können, daß es nicht "seins" gewesen war" (leicht abgewandeltes Zitat). Dieser "Beweisantritt" ist eindeutig nach hinten losgegangen: nach BtMG kommt es auf die Eigentumsverhältnisse an den Betäubungsmitteln überhaupt nicht an - strafbar ist der bloße Besitz, dh die "unmittelbare Sachherrschaft", das "in den Händen haben" bzw die Möglichkeit, unmittelbar darüber verfügen zu können. Auf die Eigentumsverhältnisse kommt es überhaupt nicht an !

Wenn nun jemand, der wegen BtMG verfolgt wird, als Verteidigung vorbringt, das Zeug, daß er in Besitz gehabt hatte, wäre garnicht sein Eigentum gewesen, dann ist das nicht nur von vorneherein aussichtslose Verteidigung, sondern legt auch vielmehr den Schluß nahe, daß der Angeklagte an "qualifizierten" BtM-Delikten - Weitergabe, Handeltreiben - beteiligt gewesen war. Warum sollte man ansonsten BtM, die einem nicht zu Eigentum gehören, im Besitz haben ?

Und dann gibt es noch etwas: nämlich den "ungeschriebenen" Straftatbestand der "versuchten Verarschung des Gerichts", der v.a. beim Amtsgericht mit sehr empfindlichen Strafen geahndet werden kann. Ich habe selbst als Staatsanwaltschaftsreferendar in den 1990er Jahren mal daran aktiv mitgewirkt, daß ein Angeklagter - es ging um Betrug der Sozialversicherung, er hatte einige Monate weiter "Stütze" bezogen, obwohl er wieder Arbeit hatte - wegen versuchter Verarschung des Gerichts durch hahnebüchene Lügengeschichten zu 3 Monaten mit Bewährung verurteilt wurde. Das war total rechtwidrig, weil nach damaliger Rechtslage Freiheitsstrafen nur ab 6 Monaten verhängt werden durften. Zudem ist es das gute Recht des Angeklagten, zu lügen und seine Lügen dürfen ihm nicht zur Last gelegt werden, auch wenn sie auffliegen. Es war regelrechte Rechtsbeugung durch den Richter und auch mich selbst. Zudem haben wir den Angeklagten "weiß gefoltert": Nachdem ich die Verurteilung zur Freiheitsstrafe beantragt und die Bewährung "ins Ermessen des Gerichts" gestellt hatte, hat der Richter sich zur Urteilsfindung zurückgezogen und mich durch den Justizwachtmeister aus dem Saal rufen lassen. Wir sind dann in die Kantine gegangen und haben fast 2 h Kaffee getrunken, während der Angeklagte Blut und Wasser geschwitzt hat, weil er befürchten mußte, sofort eingeknastet zu werden. Der Justizwachtmeister hat ihn mit der Hand am Holster seiner Knarre oberstreng bewacht.

Der Richter hat mir damals Komplimente gemacht: ich hätte auf diesen Deppen 100% cool reagiert, "wie ein alter Hase" und mir später auch ein exzellentes Zeugnis geschrieben. Ich war zunächst auch sehr stolz darauf - aber bin alsbald ins Grübeln gekommen und dieses Erlebnis hat dazu beigetragen, daß ich an meinem ursprünglichen Berufsziel "Richter" irre geworden und Rechtsanwalt geworden war.

Ich kann nicht wissen, ob hier eine "versuchte Verarschung des Gerichts" vorgelegen haben könnte und das Gericht entsprechend reagiert hat. Aber "es riecht irgendwie danach". Deenut könnte es vielleicht selbst wissen, ob da sowas war. Wenn ja, dann sind Rechtsmittel von nur sehr geringer Aussicht auf Erfolg. Aber - wie gesagt - das ist Spekulation.
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Re: Extrem hohe Strafe berechtigt?

Beitrag von Cookie »

Freno hat geschrieben: Di 12. Jul 2022, 23:26 Wegen 1/2 g Marihuana wird man schon seit langem - seit dem "Haschisch-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts aus den frühen 1990er Jahren - nicht mehr verurteilt, meist noch nicht einmal mehr angeklagt,
Das wäre schön, aber da es sich um eine KANN Bestimmung handelt, die in Bayern oft anders ausgelegt wird als sonst wo, können wir diese Annahme eher ausschließen.
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Jahkob
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Re: Extrem hohe Strafe berechtigt?

Beitrag von Jahkob »

Freno hat geschrieben: Di 12. Jul 2022, 23:26 Wegen 1/2 g Marihuana wird man schon seit langem - seit dem "Haschisch-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts aus den frühen 1990er Jahren - nicht mehr verurteilt, meist noch nicht einmal mehr angeklagt, auch in Bayern nicht - normalerweise.
Sry aber das ist schlicht nicht wahr! Anfang der 2000er wurde ich mit 0,8g erwischt. War mein erstes in Erscheinung treten wie man so schön sagt. Wurde netterweise gegen 48h Sozialarbeit eingestellt. Ein Kumpel von mir genau das selbe: Erstes in Erscheinung treten, und dann wegen "Anhaftungen" in einer angeblichen Mischeschüssel zu Sozialstunden verurteilt worden. Ein weiterer Freund wurde mit 1-2g Hasch am Bahnhof aufgegriffen -> 2500€ Geldstrafe weil er Volljährig war. Also von Verfahren die eingestellt oder fallengelassen wurden träumt man hier in Bayern weiterhin!
Freno
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Re: Extrem hohe Strafe berechtigt?

Beitrag von Freno »

Nunja - ich war sehr lange nicht mehr in Bayern gewesen, kann die dortigen Verhältnisse nicht einschätzen. Hier in Sachsen wäre eine Verfolgung derart geringer Mengen undenkbar - sofern keine "qualifizierenden" Umstände hinzukommen wie "in Verkehr bringen", Handeltreiben, "Rauschtaten" va im Straßenverkehr, aber auch Provokationen.

Das Haschisch-Urteil des BVerfG verbietet die Verfolgung geringfügiger Mengen von Cannabis wegen eines Verstoßes gegen das Verfassungsgebot der Verhältnismässigkeit. Es hat jedoch keine Definition der "geringfügigen Menge von Cannabis" vorgenommen, überlässt es den Bundesländern, dies im Verordnungswege festzulegen und im übrigen der Rechtssprechung.

Es ist leider kein Einzelfall, daß staatliches Handeln gegen "Recht und Gesetz" vorsätzlich verstößt. Am bedeutsamsten und umstrittensten sind die "Nichtanwendungserlasse" des Bundesfinanzministers, mit dem er Urteile des Bundesfinanzhofs (des obersten deutschen Steuergerichts) als "Einzelfallentscheidung" ausser Kraft setzt. Dh diese Urteile entfalten Rechtswirksamkeit nur für die unmittelbaren Prozeßparteien. Dies macht der Bundesfinanzminister auch und gerade dann, wenn der Bundesfinanzhof im Urteil selbst klargestellt hat, daß er eine eine Grundsatzfrage zu entscheiden gedenkt.

Zurück zur geringfügigen Menge von Cannabis: sofern man wegen solch geringer Mengen unter oder um 1 g verfolgt wird, lohnt sich m.E. auf jeden Fall, den Rechtsweg auszuschöpfen - sofern keine "Qualifikation" vorliegt, siehe oben.
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Re: Extrem hohe Strafe berechtigt?

Beitrag von Cookie »

Freno hat geschrieben: Mi 13. Jul 2022, 12:28 Das Haschisch-Urteil des BVerfG verbietet die Verfolgung geringfügiger Mengen von Cannabis wegen eines Verstoßes gegen das Verfassungsgebot der Verhältnismässigkeit.
Das ist nicht ganz richtig. Das Urteil legt fest, dass ab dort (geringfügige Menge) eine Einstellung erfolgen kann, nicht muss - in den meisten Ländern ist das auch so (beim ersten Mal), nicht unbedingt in Bayern. Ganz abgesehen von qualifizierenden Dingen.

Aber in der nächst höheren Instanz besteht Chance auf Abhilfe. Darum, ja, nutze den Rechtsweg!
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Freno
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Re: Extrem hohe Strafe berechtigt?

Beitrag von Freno »

L e i t s ä t z e
zum Beschluß des Zweiten Senats vom 9. März 1994
- 2 BvL 43/92 -
- 2 BvL 51/92 -
- 2 BvL 63/92 -
- 2 BvL 64/92 -
- 2 BvL 70/92 -
- 2 BvL 80/92 -
- 2 BvR 2031/92 -
(...)

3. Soweit die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes Verhaltensweisen mit Strafe bedrohen, die ausschließlich den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten vorbereiten und nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden sind, verstoßen sie deshalb nicht gegen das Übermaßverbot, weil der Gesetzgeber es den Strafverfolgungsorganen ermöglicht, durch das Absehen von Strafe (vgl. § 29 Abs. 5 BtMG) oder Strafverfolgung (vgl. §§ 153 ff. StPO, § 31a BtMG) einem geringen individuellen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat Rechnung zu tragen. In diesen Fällen werden die Strafverfolgungsorgane nach dem Übermaßverbot von der Verfolgung der in § 31a BtMG bezeichneten Straftaten grundsätzlich abzusehen haben.
(...)

Die Hervorhebung in Fettschrift und Unterstreichung stammt von mir - im übrigen ist es von der HP des BVerfG entnommen.
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