Woher kommt die Angst vor psychoaktiven Substanzen?

Parade
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Re: Woher kommt die Angst vor psychoaktiven Substanzen?

Beitrag von Parade »

Freno hat geschrieben: Mo 28. Nov 2022, 20:28Das - in psychoanalytischer Hinsicht: kontrafaktische - Dogma, in der "besten aller möglichen Welten" (Leipnitz) zu leben, wird nämlich vernichtet durch die Anerkennung der Tatsache, daß diese "beste aller möglichen Welten" nur bekifft, besoffen, bekokst ... zu ertragen ist.
... alternative Sichtweise ;)
pepre
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Re: Woher kommt die Angst vor Drogen?

Beitrag von pepre »

Purple-Hoover hat geschrieben: Mo 28. Nov 2022, 15:50 Ja, sicher ist Angst der richtige Begriff!
Ich glaube nicht. Die Drogenkonsumenten wurden ins asoziale Eck gedrängt: Langhaarige, die Haschisch spritzen und Stromgitarre spielen, arbeitslos sind und von der Sozialhilfe leben, also per se Schmarotzer sind, aka "Die leben von meinem Geld!!!". — Also eine klassische Ausprägung von "teile und herrsche".

Klar schwingt da auch die Komponente "das sind Hochkriminelle, ich bin meines Lebens nicht mehr sicher" mit. Aber das ist ja bei jedem Feindbild ein Grundbaustein.
Aus repressiver Sicht ist es sehr effizient, Angst einzusetzen, um Drogen zu bekämpfen.
Nicht nur bei Drogen. Das wird universell eingesetzt. Die heilige Dreifaltigkeit der Populisten: Wut, Hass und Angst. Der Gegner wird entmenschlicht. Populismus funktioniert nicht ohne Feindbild. Es ist immer ein "Wir gegen Die!".

Zielgruppe für die Populisten sind die Menschen, die Angst vor Veränderung haben: die eigene Welt soll unverändert bleiben. Die Welt des Gegners hingegen darf zerstört werden, da gibt es kaum moralische Grenzen (wie die Geschichte leider belegt). — Und leider sind sehr viele Menschen für Populismus anfällig. :( Vor allem wenn er im staatsmännischen Gewande wie zB bei Merz und Söder daherkommt.

Sicher, zu Beginn des "Krieges gegen die Drogen" wurde die Angst-Karte gespielt. Mittlerweile ist das jedoch ein Selbstläufer. Das hinterfragt niemand mehr: es ist wie es ist. "Drogen sind verboten, weil sie illegal sind!".

Umso erstaunlicher finde ich es, dass sich dennoch eine Mehrheit der Bürger in D für eine Legalisierung ausspricht. Ich glaube, da fruchtet das doch insgesamt hohe Bildungsniveau. Wer nachdenkt, der lässt sich nicht mehr so einfach von Populisten einfangen.

PS und außerdem: überlege mal grundsätzlich. Angst braucht ein Bedrohungs-Szenario. Wer bedroht einen? Der Feind natürlich! Du siehst: vom Henne/Ei-Modus aus betrachtet braucht es erst einen Feind, damit die Angst adressiert werden kann.

Tagesaktueller Bezug: der "hart arbeitende Bürger" vs "die Sozialschmarotzer". Hallo?! CDU/CSU/SPD haben dafür gesorgt, dass Flüchtlinge/Asylbewerber nicht arbeiten dürfen! Oder: bei H4 gibt es ein "Loch" beim Zuverdienst, bei dem de facto weniger übrig bleibt als wenn man nichts dazu verdient. Das ist alles völlig absurd. Aber es ist die Blaupause, um das o.g. Feindbild aufrecht zu erhalten. Und: man fässt diese Absurdität nicht an, weil sie so praktisch und populistisch leicht nutzbar ist.
pepre
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Re: Woher kommt die Angst vor psychoaktiven Substanzen?

Beitrag von pepre »

Zum geänderten Titel: "Woher kommt die Angst vor psychoaktiven Substanzen?"

Diese unpersonalisierte, abstrakte Angst stammt aus der Desinformationskampagne "Ein einziges Mal illegale Drogen konsumiert, und sofort bist du süchtig und musst in die Beschaffungskriminalität". Diese Mär glauben jedoch nurmehr sehr unbedarfte Leute.
Purple-Hoover
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Re: Woher kommt die Angst vor psychoaktiven Substanzen?

Beitrag von Purple-Hoover »

Zu den letzten Kommentaren:
Selbstverständlich unterstützt eine Grundangst die Möglichkeiten vom Hierarchie-abwärts-regieren oder gängeln mit den Mitteln des
divide et impera.

Der Kulturbegriff hat auch ganz klar, neben anderem, die Funktion der Verortung von Identifikation und Zugehörigkeit zu einer Gruppe.
Im Kampf gegen eine liberale Drogenpolitik wird von deren Gegnerschaft auf eine Hierarchiegläubigkeit gesetzt, die von vielen Staatsanwaltschaften ( nicht allen- Föderalismus, Ländersache) und den Polizeibehörden ein- und durchgesetzt werden.
Dem gegenüber hat man sich jedoch auch schon positioniert, siehe LEAP

Unsere Gesellschaft mit ihrem Grad an Komplexität fordert Teilhabe auch abseits des Mainstream. Wir haben schließlich sehr viel anspruchsvollere Aufgaben zu bewältigen, als Bevölkerungsgruppen wie Safe Drug User ausschließlich plakativ wieder zu integrieren- die waren ja nie woanders, die waren immer in der Mitte und drum herum- die sind integriert.

Exkurs Ende, back to thread



https://leap-deutschland.de
Meiner Meinung nach hat die Einnahme berauschender Substanzen einen positiven Anteil an der Evolution der Lebewesen.
Purple-Hoover
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Re: Woher kommt die Angst vor psychoaktiven Substanzen?

Beitrag von Purple-Hoover »

Schlußbetrachtung:

Vorab möchte ich allen Beteiligten bei diesem Thread/ Topic für deren Beitrag danken.

Im Prinzip halte ich die von mir ursprünglich gewählte Überschrift als Frage für beantwortet.
Woher kommt die Angst vor Drogen
Dadurch, daß der Begriff Drogen im pejorativen Framing genannt wird, aber vor allem ein Abstractum bleibt,
fällt
alles Mögliche darunter und ein wirkliches Benennen von Attributen muß unsachlich bleiben.
Der Begriff Drogen eignet sich als Projektionsfläche für Ängste.

Im demokratischen Prozeß der öffentlichen Debatte darf es anscheinend unsachlich hergehen.
Falls es Ängste gibt, bleiben diese diffus, d.h. unkonkret.
- Es wird hier häufig der Automatismus genannt, daß die Gefahr besteht, Abhängigkeit zu entwickeln, sowie Gefahr läuft, fortschreitend Schlimmeres zu konsumieren- ich halte die Formulierung hier bewußt nebulös.
- Daneben gibt es noch das Szenario des Weltuntergangs, eine Angst vor Verrohung- unbewußt auch hier die Angst vor einer Welt, die man nicht mehr versteht, im Gepäck Existenzangst, der zwingende Zusammenbruch unserer Gesellschaftsform.

Wohlgemerkt sind dies Gespenster, die über den Begriff Drogen erweckt werden.

Auf der anderen Seite, bei der Umformulierung hin zu:
Woher kommt die Angst vor psychoaktiven Substanzen?
... .. scheint es Ängste hingegen nicht zu geben.
Psychoaktiven Substanzen ist ebenfalls ein Sammelbegriff, den man als Umschreibung zu einer meist konkreten Substanz selbst verwendet. Hier wird der Begriff psychoaktive Substanz als Attribut verwendet.

Spätestens bei der bisher hier nicht verwendeten Formulierung
Woher kommt die Angst vor Cannabis oder Hanf?
... ..kann dann wirklich sachlich debattiert werden, die botanisch korrekte Bezeichnung taucht in Fachliteratur auf etc.
Falls es Angst im Zusammenhang mit Cannabis gibt, findet man schnell kompetente Hilfe in Form von Aufklärung über Biochemie oder dem Verhalten im Umgang mit der Substanz oder mit Mitmenschen, die diese Substanz konsumieren.
Meiner Meinung nach hat die Einnahme berauschender Substanzen einen positiven Anteil an der Evolution der Lebewesen.
Freno
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Re: Woher kommt die Angst vor psychoaktiven Substanzen?

Beitrag von Freno »

Noch ein Nachsatz gefällig ? Es geht um ein in gewissen Kreisen sogar berühmtes "Ehrlichman-Zitat". John Ehrlichman war einer der wenigen Vertrauten des US-Präsidenten Richard Nixon gewesen, spielte eine zentrale Rolle im Watergate-Skandal, mußte schließlich sogar sitzen. Nach seiner Haftentlassung hatte er sich "vom Saulus zum Paulus" gewandelt und mit seiner und Nixons Vergangenheit "brutaltsmöglich" abgerechnet. U.a. hat er ein im Hinblick auf Cannabis höchst interessantes "Zitat" losgelassen, daß ich hier mal einkopiere - die Quelle ist Wiki "John Ehrlichman":
“The Nixon campaign in 1968, and the Nixon White House after that, had two enemies: the antiwar left and black people. You understand what I’m saying? We knew we couldn’t make it illegal to be either against the war or black, but by getting the public to associate the hippies with marijuana and blacks with heroin, and then criminalizing both heavily, we could disrupt those communities. We could arrest their leaders, raid their homes, break up their meetings, and vilify them night after night on the evening news. Did we know we were lying about the drugs? Of course we did.”

„Die Nixon-Kampagne 1968 und die folgende Regierung hatten zwei Feinde: Die linken Kriegsgegner und die Schwarzen. Verstehen Sie, was ich damit sagen will? Wir wussten, dass wir es nicht verbieten konnten, gegen den Krieg oder schwarz zu sein, aber dadurch, dass wir die Öffentlichkeit dazu brachten, die Hippies mit Marihuana und die Schwarzen mit Heroin zu assoziieren und beides heftig bestraften, konnten wir diese Gruppen diskreditieren. Wir konnten ihre Anführer verhaften, ihre Wohnungen durchsuchen, ihre Versammlungen beenden und sie so Abend für Abend in den Nachrichten verunglimpfen. Wussten wir, dass wir über die Drogen gelogen haben? Natürlich wussten wir das!“
Zu Ehrlichman und seiner Rolle in der Präsidentschaft Nixons kann man dem Artikel und denen zu Nixon recht einfach in Wiki folgen.

Worum es hier geht: Nixon war einer der bedeutensten Präsidenten der USA gewesen - in der Rückschau wird er jedoch in verzerrender Art und Weise nur auf "Watergate" hin betrachtet und verurteilt. Darüber hinaus war er derjenige Präsident gewesen, der den Vietnamkrieg beendet hatte, diplomatische Beziehungen zu China begründet hatte, das 1. Naturschutzgesetz in den USA unterzeichnet hatte und eine pragmatische Haltung im kalten Krieg eingenommen hatte, die den Weg zu den Rüstungsbegrenzungs-Abkommen unter seinen Nachfolgern geebnet hatte. Auch wenn Nixon heute nach wie vor "diabolisiert" wird - die "Nixon-Politik" hat sich zumindest bis zu den beiden G.W. Bush - Präsidenten fortgesetzt und jetzt kommt die mühsam aufgebaute Pointe: damit hat sich auch die Lüge über die Drogen, wie Ehrlichman sie beschrieben hat, "perpetuiert".

Eben weil Nixon durch Watergate dämonisiert worden ist, neigt man leicht dazu, die positiven und negativen Auswirkungen seiner Präsidentschaft im übrigen zu vernachlässigen. Watergate sollte man nicht allzu ernst nehmen - dergleichen ist buisness as usal in der real existierenden Demokratie. Es wird nur normalerweise sorgsam auf Diskretion geachtet.
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